Etappe 01: Ganz oben am Cape – endlich geht es und gehe ich los

Hard facts: Cape Reinga – Ahipara, 100 km

  • entlang diverser Strände, darunter mit dem 90 Mile Beach (übertrieben, es sind nur 88 km (grins)) der längste des Landes

Erwartungshaltung:

irgendwo zwischen: Endlich gehts los und (Biber) wird das wohl was?

Tag 0 – Anreise zum Cape

km-Stand: noch keiner 😉

Morgens im verschlafenen Kaitaia. Ich hatte mir vorgenommen, etwas länger zu schlafen und das große Bett im Gateway to the Far North noch mal so richtig auszukosten. Daraus wurde nichts, weil die Sonne mich bereits um halb 7 aus den Federn warf. Das Beste, was einem am ersten Tag der Reise passieren kann, dachte ich noch. Nach einem kurzen Frühstück mitsamt Plausch mit meiner wunderbaren Zimmerwirtin Sarah, bei dem wir uns über Ihre britische Herkunft unterhielten und das derzeitige Mistwetter in Liverpool mit dem in Frankfurt verglichen, ging es noch kurz zur Post, um mein Vorrats (Bounce) Paket abzugeben und mir vorauszuschicken, und dann mit vollem Rucksack auf die Piste. Wobei das tatsächlich eine ist: Vom Ortskern Kaitaias sind es bis zum Cape Reinga noch stolze 110 km, dazwischen gibt es allerdings weder öffentlichen Verkehr noch größere Ansiedlungen. Es ist also Fortkommen per Anhalter und Goodwill angesagt. Ich war gespannt, setzte sonnenbebrillt mein freundlichstes Grinsen auf und hob den Finger.

Vorab: Ich habe abends das Cape erreicht. Dabei durfte ich bereits einen wunderbaren Querschnitt Neuseelands als Passagier begucken, insgesamt 5 Mitnahmegelegenheiten brachten mich bis an den Anfang des Te Araroa. Gleich hinter Kaitaia fuhr ich mit einem älteren polnischstämmigen Pärchen einige km mit. Die beiden haben sich in Mangonui, einem wunderbar Strandnähe gelegenen Nest am Ende der Welt niedergelassen, sind seit 4 Jahren im Land, kämpfen in bisschen mit Pioniereinsamkeit im allgemeinen und mit der Tatsache im besonderen, dass das gewünschte Ersatzteil für die Häckselmaschine in Kaitaia nicht verfügbar war, was eine Wartezeit von drei Wochen und eine weitere Fahrt über 100 km nach sich ziehen wird. Nach erfolgtem Absetzen an einer Kreuzung im Dörfchen (richtigerweise: 10 Häuser, Tankstelle, Autohändler) Awanui grüßte ich im Vorbeigehen einen eher ärmlich aussehenden Maori mit freundlichem Hallo, er grüßte zurück. Kaum 5 min später hielt neben mir eben dieser Kerl und nahm mich mit. Begründung: Ich hätte so freundlich gegrüßt. Ich bestieg frohgemut seinen Toyota, der erstens so aussah, als würde er beim ersten Beschleunigen in seine Einzelteile zerfallen, und zweitens bereits einen weiteren Passagier aufwies, einen weissen Kiwi aus der Gegend. Den Hardcore-Slang, den die beiden miteinander sprachen, konnte ich nur in Ansätzen entschlüsseln, mir gegenüber wurde das Englisch aber so verständlich, dass wir trotzdem unseren Spass hatten. Das Auto wurde mit 130 über die kurvige Landstraße gehetzt und machte ganz den Eindruck, als passiere das öfter, es fühlte sich eher wie Karrussell- denn Autofahren an, ist als `Speeding` im Lande weitverbreitet und wird teuer, falls eine der im Lande ebenfalls verbreiteten Radarkontrollen auftauchen. Hier oben auf einer nur von dahinschleichenden Touristen und sie überholenden Einheimischen benutzten Piste war dergleichen offenbar nicht zu erwarten, also legte ich mich mit in die Kurve und genoß, zur eigenen Überraschung, die Fahrt. Nach 40 km war auch dies zu Ende, 2 km in mittlerweile brütender Hitze später war ich froh über meinen nächsten Helfer, einen maorischen Papa auf dem Weg zur Schule im kleinen Ngataki, wo sein Sohn bereits auf ihn warte. Kaum war ich wieder auf der Straße, hielt neben mir Rose, ihres Zeichens Hebamme, Krankenschwester und Hilfslehrerin, die soeben die Stunde mit, na klar, unter anderem dem angesprochenen Sohn beendet hatte, und mir auf dem Weg zu einer Freundin viel Wissenswertes über das nördlichste Ende von Neuseeland erzählte. Unter anderem, dass es hier oben mangels Rentabilität kaum noch Schafe gibt, dafür aber sehr viel mehr Rinder, besonders die schwarzen Angus, die bestes Fleisch erwarten lassen. Stützte meine Beobachtungen. Rose zeigte mir vom Auto aus auch noch kurz die umfangreichen Ländereien, die ihr Sohn hier oben bewirtschaftet, fuhr mich dann noch ein Stück weiter Richtung Kap, als sie eigentlich gemusst hätte, und setzte mich in Waitiki Landing ab. Letzte Tankstelle vor dem Kap, Kaffeepause (hat der Flat White (=Kaffee mit Milch) jemals so gut geschmeckt?) und dann weiterlaufen. Was ich noch nicht in meinem Querschnitt hatte, nämlich Touris, kam dann auf nette Art nach weiteren 4 km auf mich zu: Jen und Justin aus London, auf Honeymoon-Hochzeitsreise im Campervan unterwegs, nahmen mich mit bis zum nördlichsten Campingplatz des Landes am unaussprechlichen Tapotupotu Beach.

Hier schien die Abendsonne auf eine absolute Idylle im Nirgendwo. Ich fühlte mich fit, baute mein Zelt auf und beschloss dann, einen etwa 5 km langen Küstenweg zum Cape Reinga zu laufen. Nicht Teil des Te Araroa, aber ich wurde von der Schönheit dieses Küstenabschnitts einfach umgehauen. In ständigem Auf und Ab ging es ganz nah an der Steilküste entlang, von einer einsamen Bucht zur nächsten, und irgendwann kam der kleine Leuchtturm des Cape in Sicht, der in der Abendsonne wunderbar aussah. Als ich ihn dann gegen 19.30 Uhr erreicht hatte, waren am gesamten Kap, das normalerweise von Tagestouristen ziemlich überlaufen ist, gerade mal noch 4 Leute übrig. Magischer Beginn und wunderbare Erfahrung. Ich setzte mich ans windumtoste Kap und sinnierte über den bevorstehenden Weg, machte die obligatorischen Fotos mit den Wegweisern (Bluff ist Luftlinie gerade mal 1.452 km entfernt, das wär doch gelacht, ne?) und versuchte irgendwie die Distanz zu Europa zu erfassen. 18.000 km. Ist mir nicht gelungen. Muss auch nicht…

Der Rückweg zum Camp im Dunkeln verlief dann sicherheitshalber über die Zufahrtsstraße, dank meiner Kopfleuchte und Temperaturen um 20 Grad kein Problem. Ich hatte nur meinen Tagesrucksack dabei. Dabei spielte ich nochmals durch, was denn so auf mich zukommen sollte. Mit Sicherheit war mein Rucksack noch zu schwer. Würde ich ohne Probleme mit Rücken oder Knien durchkommen? Was sagen meine Füße? Krieg ich das Alleinelaufen am Strand gut hin? Habe ich alles? Alle Zweifel wurden dank der Abendsonne schnell sehr klein, ich freue mich auf morgen.

Tag 1 – Tapotupotu Beach bis Beginn 90 Mile Beach (33 km)

km-Stand: 17

Morgens war es wieder die Sonne, die mich nach erholsamer Zeltnacht diesmal wirklich aus den Federn, genauer Daunen warf. Rucksack geschultert, Wasser aufgefüllt und die 10 km via Straße/Dirt Road zum Kap unter die Füße genommen. Dass ich das Kap doppelt besuchen würde, war zwar so nicht geplant, aber da der Te Araroa direkt oberhalb beginnt, wollte ich nicht gleich am Anfang meine ersten Trailkilometer verlieren. So war ich um kurz vor 9 schon wieder da, wieder quasi alleine. Wieder zog mich dieser eigentlich viel zu kleine Leuchtturm in seinen Bann, zumal das Cape auch und gerade für die Maori von großer Bedeutung ist. Mehr dazu in meinem ersten Ex der Woche.

Irgendwann war es dann an der Zeit, mich loszureißen und loszugehen. Der Weg führt vom Kap erstmal mit grandioser Strandaussicht bergab, entlang zweier Strände, um ein weiteres Kap herum und zum kleinen Camp am Twilight Beach. Den kann man je nach Laune mit Dämmerung oder Zwielicht übersetzen. Das ideale Wetter liess mich nach den orangen Dreiecken Ausschau halten, die den Weg markieren und mich in den kommenden Monaten stetig begleiten werden. Am Ende des Strands sah ich dann auch gleich groß und deutlich auf einer Düne das erste, stapfte den Pfad entlang und… landete zum ersten Mal auf dem falschen Weg. Zwar hatte ich ganz brav Karten und Trail Notes (Hinweise des Te Araroa Trust zum Weg) ausgedruckt und gespeichert, nur sollte man das Material dann halt auch lesen statt einfach draufloszurennen. Das führte dazu, dass ich mich über meinen meistgehassten Untergrund (feiner tiefer Sand) durch Dünenlandschaften kämpfte, später im Wald landete und immer noch den Dreiecken getreulich folgend, nach zwei Stunden wieder an der Zufahrtsstraße zum Kap stand. Einigermaßen schlecht gelaunt nahm ich zur Kenntnis, dass ich immerhin nicht den ganzen Weg zurücklatschen musste, sondern ein weiterer Weg mich über Kuhweiden und durch ein weites Tal direkt zum zwielichtigen Strand bringen würde. Dadurch schoss mein Tageskilometerzähler am ersten Tag gleich mal über die 30, na danke. Aber der Weg selbst erwies sich als nicht übermäßig anstrengend, und die Kuhherden hielten gebührenden Abstand, wenngleich einem die Aufmerksamkeit sämtlicher Paarhufer sicher war (Was hat denn der an? Warum hat der Wanderstöcke dabei? Und überhaupt, diese unmögliche Aufmachung…). Kurz nach 16.30 Uhr erreichte ich das idyllisch gelegene Camp am Twilight Beach, wo mit Theo aus England und Miriam aus der Schweiz die ersten Mitstreiter grade ihre Zelte aufgebaut hatten. Ich servierte für alle meinen ersten Trail Coffee (stark und sehr zu empfehlen: Chiasso Coffee – Monza) und entschloss mich nach einem Plausch, doch noch weiterzulaufen. Ich war auf der Jagd nach einem tollen Sonnenuntergang am Beginn des 90 Mile Beach. Das Foto dazu ziert viele Hochglanzdokumentationen zum Trail. Die zugehörige Stelle erreichte ich etwas zu spät etwa 5 km hinter dem Camp, schlug mein Zelt an einer geeigneten Stelle direkt oberhalb des Abstiegs auf und genoss erneut einen magischen Abend mitten in der Wildnis. Beim Schlafengehen wurde ich durch das typische helle Sirren darauf aufmerksam, dass Mozzies (=Moskitos) und Sandflys (=dasselbe in kleiner und noch blutrünstiger) in den nächsten Monaten um meine Freundschaft buhlen würden. Da mein Innenzelt so feine Maschen hat, dass alles Fluggetier im wahrsten Wortsinne das Nachsehen hat, schlief ich dennoch beruhigt ein, nachdem ich einige besonders schnelle Exemplare, die es ins Innere geschafft hatten, erschlagen hatte. Seither zieren einige Blutflecke meine Isomatte. Das Schlachtfest dürfte sich in den kommenden Monaten noch einige Male wiederholen. Immerhin scheine ich trotz Blutgruppe 0 und dunklen Klamotten kein bevorzugtes Ziel für die Viecher zu sein. Die Hoffnung stirbt zuletzt ;-).

Ausrüstungsdetail: Gleich am ersten Tag haben meine Wanderstöcke und mein Zelt gezeigt, was sie können. Vermutlich hätte es mich heute sonst ziemlich zerlegt.

Tag 2 – Beginn 90 Mile Beach bis The Bluff (38 km)

km-Stand: 42

Schon wieder ein frühes Erwachen, und dieses Mal mit grandioser Fernsicht. Mein Zeltplätzchen ist gerade 10 Schritte vom Aussichtspunkt über dem 90 Mile Beach entfernt, und der zu erwartenden Hitze wegen wollte ich erneut früh los, um schon etwas Strecke zu machen, bevor es zu beschwerlich werden sollte. Die Nacht schlief ich durch, mein Platz war dank des allgegenwärtigen Buschlands gut gegen Wind geschützt. Glück gehabt!

Die heutige Etappe versprach recht eintönig zu werden. Der 90 Mile Beach ist ein je nach Tide zwischen 100 und 300 m breiter Traumstrand, Dünen dahinter, nicht zu kaltes Wasser. Die Betrachtungsweise des gemeinen Strandurlaubers ist allerdings nicht die gleiche wie die eines Te Araroan, der knappe 20 kg auf dem Rücken schleppend und sich vor der Sonne schützend irgendwie durchschlägt. Ich versuchte barfuß zu laufen, was wunderbar funktionierte und mir die allgegenwärtigen Blasen ersparte. Neben einer kurzen Mittagspause im, na wo wohl, Sand (ok, es war ein alter Baumstamm), erschöpfte sich der Tag im Betrachten schöner Muscheln, toter Tiere (von der Qualle bis zum Kormoran alles dabei) und dem Kilometerzählen. Selbst auf der Karte ist dieser Streckenabschnitt schnurgerade, und ich erprobte, ob die von mir angestrebte Durchschnittsgeschwindigkeit von 4 km/h denn zu halten wäre. Klappte ganz gut, es blieb Zeit zum Sinnieren und Vor-Sich-Hin-Laufen. Kurz nach 14.30 Uhr war ich bereits an der kleinen Halbinsel von The Bluff angekommen. Außer dem Namen haben die Endstation des Te Araroa und diese Landmarke nichts gemein. Die gleich dahinter befindliche Campsite ist vor wenigen Monaten neu gestaltet worden, mich erwarteten fließend Wasser, eine Toilette im Nirgendwo (mit Wasserspülung, wow) und ein windgeschütztes Zeltplätzchen. Martyn, ein Kiwi auf schneller Wanderschaft (ich sah ihn am Strand entlangtraben, er hat aber auch nur 10 kg Gewicht auf dem Rücken), sowie nach ca. 2 Std. Pause auch Theo und Miriam waren ebenfalls da. Letztere kamen unter Beteuerungen, es seien nur ein paar Meter gewesen, im SUV mit einem Einheimischen an, der Ihnen beim Aussteigen gleich noch ein kühles Bier spendierte. Die Gastfreundschaft der Enzedder (=Kiwis =Neuseeländer) ist wirklich sprichwörtlich und freut mich immer wieder.

Inzwischen zogen die ersten Gewitterwolken meines Trails auf, was den Strand merklich abkühlte. So startete ich heute den nächsten Versuch, noch ein paar Kilometer weiter südwärts zu kommen, diesmal allerdings war das keine so gute Idee. Eine Std. weiter begann der Nieselregen, und die zuvor stillstehenden Wolken begannen sich in meine Richtung zu bewegen. Ich brach den Versuch ab, kehrte nahezu trockenen Fußes zum Camp zurück und wurde prompt als zukünftiger Wetterwanderer erkoren, der die extra Meile läuft, um den notorisch unzuverlässigen Wettervorhersagen nachzuspüren :-).

Der Tag klang beim gemütlichen Essen aus, wir zimmerten uns ein gemeinsames Trailmenü aus ungesunden und super leckeren Dingen wie kandiertem Ingwer, Nudel-Meeresfrüchte-Suppe, Schokolade mit Erdnussbutter (geschmolzen, yummy!), Tortillas mit Käse und Thunfisch sowie dem obligatorischen Kaffee zusammen. Mit Vincent aus Frankreich waren wir mittlerweile auf einen 5 Personen starken Trupp angewachsen.

Theo hatte viel zuviel Trailfood mit, so dass die gute Tat des Tages darin bestand, ihm seine Vorräte wegzuessen, dass der Arme nicht mehr soviel zu tragen hat. Gutmenschen unter sich :-)). Das Gewitter traf uns wider Erwarten übrigens doch nicht, so dass die geschundenen Füße samt dem Rest doch noch eine erholsame und ruhige Nacht hinter sich bringen konnten. Andererseits weiss ich immer noch nicht, ob mein Zelt auch einen ordentlichen Schauer abkann und mich trocken lässt. Aber das kommt dann eben später…

Tag 3 – The Bluff bis Utea Camp/Hukatere (30 km)

km-Stand: 72

Die heutige Etappe versprach recht eintönig zu werden. Der 90 Mile Beach ist ein je nach Tide zwischen 100 und 300 m breiter Traumstrand, Dünen dahinter, nicht zu kaltes Wasser. Die…

Oh, das kommt jemandem bekannt vor? Ja, der Tag war in der Tat derselbe wie der davor, nur fehlte heute am Horizont jede Wegmarke, kein Vorgebirge, nichts, nur Sand, Sonne und Wasser. Neuer Spitzname unseres Strandes: 90 Mile Bitch…dank fehlenden Mobilfunkempfanges konnte ich mich überhaupt nicht ablenken und versuchte im Trailmodus voranzukommen. Kürzere Etappen als die 30 km sind nicht möglich, da es zwischenzeitlich ausser einigen reichlich ausgetrockneten Flussbetten keine Möglichkeit gibt, an Wasser zu kommen. ausserdem trinke ich pro Tag derzeit bis zu 5 l, was mein Gepäck nicht grade leichter macht. Immer noch barfuß unterwegs, was angesichts des harten Sandes in Wassernähe bislang bei jeder Tide funktioniert (mit weicherem Sand wäre kein Fortkommen möglich), kam ich zügig, aber eintönig voran. Nachmittags wurde die Hitze dann sehr stark, ausserdem musste ich regelmäßige Pausen einlegen, um Sonnenspray nachzutanken. Bedingt durch die viel stärkere UV-Strahlung in Neuseeland ist selbst bei bedecktem Himmel immer mit Sonnenbrand zu rechnen, alle zwei Stunden sollte nachgelegt werden, zumindest am Anfang. Ich werde zwar schnell rot und dann braun, aber das Risiko, mit gespannter Haut nach Manier eines im Solarium eingeschlafenen Beachboys auf der Nase zu liegen, stand nicht auf meiner Liste der Te Araroa Must-Haves.

Die einzige Abwechslung in Form von gelegentlich vorbeifahrenden Autos muss man vor dem Hintergrund sehen, dass der 90 Mile Beach in NZ ganz offiziell als Highway gilt und entsprechend befahren werden darf. Alle grüßen sie ganz freundlich und denken wahrscheinlich bei sich: Wie gestört muss jemand sein, mit so viel Gepäck diesen Strand abzulaufen. Stimmt zwar, aber schliesslich wollte ich es ja so. Und ich teile es mit einigen anderen, das macht’s erträglich…

Nachmittags kam ich nach ewig scheinender Zeit in Hukatere an, wo mich Miriam bereits erwartete. Sie war zwischenzeitlich von einem neuseeländischen Pärchen mitgenommen worden und kam gerade vom Schwimmen. Im Utea Camp erwartete mich – eine kleine Hütte mit Bett für nur 20 NZ$ und ein von Tania, der freundlichen Eigentümerin, für uns frisch zubereiteter Heidelbeer-Smoothie – so fühlt ich das Paradies an! Wir haben für den kommenden Morgen gleich noch einen bestellt. Kleines Detail am Rande: Tania bot ihn nur denen an, die zu Fuß kamen. Die Fraktion der Auto- und Vanfahrer bekam ihn nicht. Tania ist ein echter Trail Angel (=Leute, die die Wanderer in besonderer Weise unterstützen) und ausserdem mit ansteckend guter Laune ausgestattet, ebenso ihr Mann Paul, der uns noch mit viel Wissenswertem rund um die Nordspitze des Landes versorgte. Das Völkchen des Far North (=entlegenen Nordens) gilt in Neuseeland auch als eigensinnig, und er bestätigte dies mit viel freundlichem Lokalkolorit. Sehr entspanntes Trailplauschen.

Der Nachmittag verlief im Sande – nach und nach trudelten die anderen auch ein, jeder war froh, der Hitze am Strand entkommen zu sein. 5 junge Deutsche, mit ihrem Campervan hier unterwegs, kochten riesige Nudelberge, ich legte mich erstmal einen Moment hin und der Tag klang am Strand mit einem wunderbaren Sonnenuntergang aus – es sah aus wie gemalt. Theo und ich führten am Strand noch philosophische Gespräche über die Gründe, den Trail zu laufen, und sahen dabei dem langsam verschwindenden Tag zu. Ganz toller Ausklang eines vermeintlich harten Tages. Und meine Füße machen nach wie vor mit, ich bin ganz begeistert. Darf so weitergehen…

Tag 3 – Utea Camp/Hukatere bis Ahipara (30 km)

km-Stand: 102

Heute früh war es nur leicht bewölkt, allerdings musste ich den beiden Vortagen etwas Tribut zollen. Füße einreiben, Morgentoilette, die Suche nach dem Kaffee – es zog sich alles ziemlich in die Länge. Bis auf eins: Hinter dem Utea Camp erhebt sich in etwa 500 m Entfernung der Hügel Utea – Namensgeber des Camps und in weiter Umgebung die höchste Erhebung. Tania hatte erwähnt, dass er als eine der Stufen ins Jenseits in der Maori-Mythologie eine besondere Rolle spielt. Dort wollte ich hinauf – möglichst früh. Neuseelanduntypisch führt der Weg auch in mehreren Schleifen um den Hügel herum nach oben und ahmt damit den Koru, das sich entfaltende Farnblatt der Maori-Flagge, nach. Oben befindet sich sehr unspektakulär ein kleiner betonierter Platz, der die großartige Aussicht auch sitzend und ohne feuchten Hintern genießen lässt. Die Stunde dort oben war ein toller Ausgleich zu den Strapazen des Weges. Es tut gut, auch mal ein bisschen nachdenken zu können jenseits der unmittelbaren Trailbedürfnisse, die sich in erster Linie um Essen, Trinken, Gelenke und Zelt/Schlafen drehen. Die Unmittelbarkeit und Einfachheit, die auf Fernwanderungen genossen werden darf, wird mir in solchen Momenten als besonderer Luxus bewusst. Es ist ja eigentlich nichts Großes, aber wie viele, die im Alltag in komplexe Zusammenhänge eingebunden sind, deren Tag gestaltet ist von Arbeit, Terminen, Verabredungen und die eine hohe Schlagzahl haben, kommt die Entschleunigung beim Wandern, stärker noch beim Fernwandern für mich als komplette Umstellung meines Alltags daher. Das geht, so zumindest die Hoffnung für die kommenden Monate, auch damit einher, die Dinge wieder mehr so zu nehmen, wie sie sind und unmittelbar zu genießen, selbst wenn nicht xte Sensation des Tages bevorsteht oder statt des spektakulären Bungeesprungs, der hier in NZ übrigens wie vieles auch spektakulär teuer ist, einfach nur eine simple Wanderung entlang einer Bergkette ansteht.

Genug der Trailphilosophie, nach einem letzten Blick aufs Camp von oben gesellte ich mich wieder zur Frühstücksrunde, die Paul mit unseren bestellten Smoothies nochmal ordentlich aufpeppte.  Das dritte Drittel des Strandes steht heute an, bis zum kleinen Strandresort Ahipara. Neben erneut vielem toten Getier und einer am Anfang sehr hohen Tide (wir mussten quasi schon auf die Dünen ausweichen) ging es bis mittags eher träge voran, wenngleich es bewölkt und damit nicht so anstrengend wie an den Vortagen war. Dann aber entschieden Theo und ich, noch eine Schippe draufzulegen. Grund: Wir wollten den Abschluss der Strandwanderung mit dem neuen Star Wars-Film krönen. Der wiederum lief in Kaitaia, was bedeutete, dass wir am Strand über 10 und per Anhalter weitere 10 km hinter uns bringen mussten, und das bis 17.15. Geht nicht? Geht doch! Die letzten 14 km rissen wir in 2 Std runter, ganz so, als hätte Yoda uns magische Kräfte verliehen. Neil, mein Gastgeber aus Kaitaia, hatte sich zwischendurch angeboten, uns am Strand abzuholen, so dass wir zwar mit ordentlich Sand im Getriebe und k.o., aber selig wie zu Teenager-Popcorn-Zeiten pünktlich dem letzten Jedi zusehen konnten. Ich habe keine Sekunde des Films verpasst. Dazu trug sicher auch der Charme des kombinierten Kinos/Theaters von Kaitaia bei, mit seinen 120 knallroten Plüschsitzen und einem Publikum von 10 bis 85 pures Retro. Die Macht war definitiv mit uns, und führte uns nach einem Absackerbier mit Cola auch schnurstracks ins verdiente Hostelbett.

Ein Ruhetag in Ahipara und Kaitaia ist jetzt hochwillkommen, um Vorräte aufzufüllen und meine Füße zu kurieren. Am letzten Tag musste ich gegen meinen Willen nach knapp 60 km Barfußlaufen doch noch meine Schuhe anziehen, weil ich ausgerechnet die Oberseite meiner Füße vergessen hatte einzucremen. Lohn der Nachlässigkeit: ein fetter Sonnenbrand beidseits, und scheuernde Socken sind dafür auch nicht das Zuträglichste. Also kommen meine in weiser Voraussicht eingepackten Blasenpflaster doch noch zum Einsatz. Dennoch möchte ich meinen Barfußlauf nicht missen.

Ausblick: Nach dem Strand geht es in den Wald. Die kommenden 120 km führen mich in die Northland Forests, dem Vernehmen nach dichter Regenwald. Kontrastierender gehts nimmer. Allerdings könnte ich Glück mit dem Wetter haben, und wenn mein Rucksack nicht zu schwer daherkommt…Mal sehen…

 

Erwartungshaltung: Knie und Füße haben gehalten, ich bin bislang rundum zufrieden, liegen geblieben ist nichts, und mein Dank gilt den Mit-Trampern und den Menschen am Wege, die meinen Trail bislang so bereichert haben.

 

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